Als Pierre Le Beau Aue zum Aufstieg köpfte
In einem weiten Bogen zirkelt sich der Ball im Lößnitztal in den Strafraum. 16.400 Fußball-Fans halten an diesem 30. April in der 85. Minute den Atem an. Im Gedränge der Lilanen und Gelben steigt ein echtes Auer Eigengewächs am höchsten. Platziert köpft er gegen die Laufrichtung des Torwarts und der Ball zappelt in den Maschen. 2:1 - Pierre Le Beau köpft den FCE an jenem 30. April 2010, also vor exakt 15 Jahren, zum Aufstieg in die 2. Bundesliga. Das Stadion und das Erzgebirge stehen Kopf an diesem denkwürdigen Tag.
Der schwere Weg zum Aufstieg
Dass die Veilchen in der Saison 2009/10 schon am vorletzten Spieltag klarmachen würden, war noch während der Spielzeit nicht absehbar. Nach sechs Spielen waren die Erzgebirger unter der Leitung von Rico Schmitt noch 16. in der Tabelle. An einen Aufstieg dachte hier niemand, bereits im Jahr nach dem Abstieg hatte der FCE viel Zeit gebraucht, um sich in der neuen 3. Liga zurechtzufinden. Nach einer knappen Heimniederlage gegen den 1. FC Heidenheim drohte sogar der Abstiegskampf. Aber dann zündete endlich Neuzugang Najeh Braham. Der wuchtige Stürmer kam vor der Spielzeit aus der Regionalliga ins Erzgebirge und gegen Wuppertal und die U23 von Stuttgart wurde der Knipser zum Matchwinner.
Aber das reichte natürlich nicht, die Veilchen brauchten eine erste Siegesserie und mit vier Erfolgen am Stück stand der Kumpelverein Mitte Oktober zum ersten Mal auf einem direkten Aufstiegsplatz. Aber ein Siegeslauf sollte es in dieser Spielzeit nicht werden und die Veilchen brauchten lange, um die nötige Konstanz zu finden. Bis in den Winter holte die Elf von Rico Schmitt nur zwei Siege und dann kam mit den Kickers aus Offenbach ein echter Konkurrent um den Aufstieg zu den Veilchen ins Lößnitztal. Ein wegweisendes Duell bei echtem Wismut-Wetter und einem schlammigen Platz. Aue startet mit einem Eigentor und bis zur Pause hatten die Gäste auf 2:0 gestellt. Der FCE drohte, den Anschluss an die Spitze zu verlieren. Dann fuhr eine Dampflok durch das Signal und das Pfeifen des Lokführers weckte die Lila-Weißen wieder auf. Was folgte, war eine regelrechte Aufholjagd und eine der besten Halbzeiten, die Aue in der jüngeren Vergangenheit auf den Platz brachte. Mit 4:2 siegten die Hausherren noch und unterstrichen die Ambitionen.
Der Durchbruch erfolgte aber erst im Frühling. In einem goldenen April schlugen die Veilchen den Spitzenreiter Osnabrück souverän mit 3:0 und waren auch gegen Dortmund II, Holstein Kiel und Wacker Burghausen siegreich. Am vorletzten Spieltag und dem letzten Apriltag reiste die Braunschweiger Eintracht ins Erzgebirge. Ein Entscheidungsspiel - schließlich lauerten die Löwen selbst auf einen Platz unter den Top drei. Vor ausverkauften Rängen spielte sich dann ein echter Nervenkrimi ab. Aue brauchte einen Sieg, um nach 2003 erneut in die 2. Bundesliga aufzusteigen.
Hensel und Le Beau stoßen Tor zur 2. Bundesliga auf
nter der Leitung des Bundesliga-Schiedsrichters Manuel Gräfe ging es in die Partie und die Löwen von Torsten Lieberknecht machten es Aue nicht leicht. Aggressiv und mutig drängten die Gäste Aue in den ersten 45 Minuten mächtig in die eigene Hälfte. Die besseren Chancen hatte dennoch das Auer Team. Eric Agyemang und Skerdilaid Curri verpassten die so wichtige Führung, während Marco Calamita für Braunschweig nur das Außennetz traf. Die Tore fielen nach der Pause. Für Aue eröffnete Marc Hensel. Der gelernte Stürmer war schon Trainer Schmitt zum Abräumer umfunktioniert worden und hatte in der Saison bisher keinen Treffer beisteuern können. In der 54. Minute jagte Kapitän Tomasz Kos einen Freistoß aus der eigenen Hälfte an den Strafraum der Gäste. Hier bewies Eric Agyemang nicht nur Durchsetzungsvermögen, sondern auch Übersicht. Der Stürmer spitzelte den Ball in den Rückraum, wo Marc Hensel trocken Maß nahm. Wie an der Schnur gezogen, jagte der Schuss Hensels durch die Abwehr und schepperte im unteren linken Toreck von Braunschweigs Marjan Petkovic ein.
Das erste Mal stand das Erzgebirgsstadion Kopf und die Auer Anhänger träumten im alten Oval schon vom deutschen Unterhaus. Wäre da nicht Braunschweigs Mirko Boland gewesen. Der Linksfuß im Dress der Eintracht kam nur zehn Minuten nach der Auer Führung vor dem Strafraum an den Ball. Gefühlvoll zirkelte Boland den Ball an Martin Männel vorbei ins Dreiangel. 1:1 und ein Unentschieden reichte den Veilchen nicht. Die Konkurrenz schenkte ebenso nicht ab, in der 2. Hälfte drehte der VfL Osnabrück sein Heimspiel gegen die Kieler Störche und der FC Ingolstadt fertigte den SV Wehen in Wiesbaden gnadenlos mit 5:1 ab. Sollte der FCE das Spiel gegen die Eintracht herschenken, würde es am letzten Spieltag zum Showdown kommen. Der Ausgleich gab Braunschweig neues Selbstvertrauen. Trainer Lieberknecht hatte mit Smail Morabit und Kingsley Onuegbu zwei neue Stürmer ins Spiel geworfen und die Joker hätten die Partie wenden können. Wenige Minuten nach dem Treffer von Boland steckte Onuegbu auf Morabit durch. Der schnelle und wendige Offensivspieler legte sich den Ball an Martin Männel vorbei und traf dann aus spitzem Winkel nur das Außennetz. Wenige Augenblicke später hätte die Führung für die Eintracht fallen müssen. Die Gäste kombinierten sich über die linke Seite und Verteidiger Ken Reichel brachte eine scharfe Hereingabe in den Strafraum. Onuegbu hätte zum Auer Partycrasher werden können, aber direkt vor dem Tor versagten dem Stürmer die Nerven und wie durch ein Wunder rauschte die Kugel links am Auer Kasten vorbei.
Die Veilchen strapazierten ihr Glück und auf den Rängen stieg die Spannung immer weiter. Echte Aufsteigermannschaften gewinnen solche engen Spiele und die Mannschaft von 2010 hatte dieses Durchsetzungsvermögen. In der 85. Minute war es dann ausgerechnet das Auer Eigengewächs Pierre Le Beau. Der Rechtsverteidiger, den Rico Schmitt schon in der Sachsenliga trainiert und gefördert hatte, stieß das Tor zur 2. Bundesliga auf. Als sich Skerdilaid Curris Flanke im Strafraum senkte, setzte sich Le Beau gegen alle durch und nickte ein. 2:1 - die späte Führung, die Entscheidung und der Aufstieg für die Veilchen. Danach gab es kein Halten mehr, als Schiedsrichter Gräfe die Partie kurze Zeit später beendete, kletterten die Fans über die Zäune und das Erzgebirge feierte im Lößnitztal die Rückkehr ins Unterhaus. An diesem 30. April vor 15 Jahren stiegen die Veilchen wieder auf.
Glück Auf!
Bilder: Frank Kruczynski, Sven Sonntag - PicturePoint
Text: Max Richter