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Im Gedenken an Wismuts „Binges” Müller: „Das waren wirklich alles Kumpels, darum wollten wir nach Aue”

Heute wäre Bringfried Müller, Sportfreunden besser bekannt unterm Kürzel „Binges”, neunzig Jahre alt geworden. Der verdiente Spieler und Trainer der Auer Wismut- Mannschaft starb am 10. April 2016 in Chemnitz.

Geboren wurde er am 28. Januar 1931 in Langenberg bei Gera. Über Lok und Motor Süd sowie schließlich die BSG Wismut Gera kam der Thüringer mit 24 Jahren zum SC Wismut Karl- Marx-Stadt, sprich: zum Auer Kumpelverein. Der Verteidiger und 18fache DDR-Nationalspieler bestritt für Gera und von 1955 bis 1965 für Aue insgesamt 287 Oberligaspiele, davon 236 für die Erzgebirger. Anschließend arbeitete „Binges” als Cheftrainer der BSG Wismut Aue (bis November 1967 und von 1971 bis 1977; dazwischen beim FC Karl-Marx-Stadt).
Verheiratet war er mit Jutta Müller, der erfolgreichsten deutschen Eiskunstlauftrainerin. Vor seinem 80. Geburtstag 2011 hatte Olaf Seifert mit dem Fußballsportler fürs Veilchenecho ein Interview geführt. 
Damals nannte er seine Erfolge mit Wismut die wichtigsten der Spielerlaufbahn: drei DDR-Meistertitel, Erster der Übergangsrunde, FDGB-Pokalsieg 1955, dazu die Europacupkrimis gegen Göteborg, Ajax Amsterdam, Gwardia Warschau, Young Boys Bern, Rapid Wien… Absolute Höhepunkte seien die beiden Duelle West gegen Ost gewesen, zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem SC Wismut 1956 und 1957. „Von den Begegnungen der Spieler, ob im Bad Dürkheimer ,Fass’ oder im Leipziger ,Astoria’, schwärmten alle, die dabei waren”, erinnerte sich „Binges”, der fortan auch Lautern-Fan war. Wie er zu seinem Spitznamen kam, verriet er dem Stadionheft damals auch: „Wie mein Bruder erzählte, hatten meine Eltern mal einen Streit und danach sei ich entstanden, das ,Verständigungsprodukt Bring-Fried’. Bloß sprich so ein sperriges Wort als Vierjähriger mal aus! Was da aus meinem Kindermund kam, klang wie ,Binges’”. In der Wismut- Mannschaft habe man den einsachtzig großen Abwehrmann hingegen „Langer” gerufen. Dass er dem „Tröger-Will” als junger Spund die Schuhe zuband, bestätigte er: „Willy hatte im Krieg eine Hand verloren und das Binden machte ihm Mühe. Da wir in der Nationalauswahl meist in einem Zimmer wohnten, ergab sich das. ,Langer, bind mir einen ein!’ rief der Willy dann.”


Vier Treffer erzielte „Binges” in Pflichtspielen. Darunter die beiden in Oberliga-Heimderbys: im September 1955 gegen Chemie Karl-Marx-Stadt und gegen Motor Zwickau im November 1964. Ein drittes schoss Müller im November 1957 in Aue im Europapokal der Landesmeister gegen Ajax Amsterdam, das vierte im Mai 1965 im FDGB-Pokal-Halbfinale in Magdeburg. So wenige Tore erzielt zu haben, ärgerte ihn nicht, denn: „Vor allem Trainer Dittes legte Wert auf mannschaftsbezogenes Spiel. Mit Manfred Kaiser, den Wolfs und anderen hatten wir Experten für die Tore. Nur bei Ecken durfte ich mal ran.” Karl Dittes hob Müller unter den Auer Trainern heraus („ein ausgezeichneter Fachmann, Duckmäuser mochte er nicht”), ebenso wie später beim FC Erzgebirge Gerd Schädlich und Rico Schmitt. Für Trainer „Binges” selber zählte, dass Aue immer erstklassig blieb, Platz sechs sei 1976 eine Sensation gewesen. Wie er sich die „Wunder von Aue” seinerzeit erklärte? „Der Geist der Mannschaft im Umfeld! Wenn du vor den Kumpels auf den Rängen Mist gespielt hattest, gab’s sofort Pfeffer. Wir hatten eine Patenbrigade, mit der sind wir eingefahren und erlebten, wie die unten im Schacht malochen musste. Da wusstest du, wie gut es Fußballer haben. Später war der Trotz wichtig, den Klubs wollten wir es beweisen.” Der Kumpelverein muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Das spürte man, als Bringfried erzählte, wie er 1955 ins Erzgebirge kam: „Gera war aus der Oberliga abgestiegen, ich erhielt Anfragen aus Berlin, Jena und Aue. Manfred Kaiser, Horst Freitag und ich wurden zu Freundschaftsspielen eingeladen, welche Aue in Westdeutschland, in Hamborn und Nordhorn, bestritt. Uns drei begeisterte die Harmonie in der Mannschaft, das waren wirklich alles Kumpels, darum wollten wir dort hin.”  
Eine Episode soll nicht untergehen, denn Trainer Müller habe das Lila nach Aue gebracht, wie er 2011 erzählte: „1966 ärgerte ich mich über das verwaschene Rot unserer Spielkleidung und fragte in einem halbstaatlichen Betrieb in Burgstädt an. Nein, Lila dürfe man nicht drucken, das sei im DDR-Sport nicht üblich. Ich überzeugte sie schließlich, heimlich etwas lila und weißen Stoff zu fertigen, Jutta gestaltete auf Pappe die Muster für Dress und Hose und ich lief damit zu den Wismut-Funktionären. Die waren begeistert!”. Danach sei die erste Kollektion in Burgstädt produziert worden: lila Stutzen und Trikot mit dem neuen Emblem, weiße Ärmel und Hose. Das Wappen mit zwei gekreuzten Hämmern und dem großen W habe er auch entworfen: „Schließlich wollte ich mal Technischer Zeichner werden.” Die Farbe Lila aber mochte „Binges” schon seit den frühen Fünfzigerjahren, seit einem Spiel gegen Schwaben Augsburg in Gera: „Die lila-weißen Trikots der Gäste stachen mir ins Auge.”
Was Bringfried Müller im Interview über den Profifußball sagte, ist zehn Jahre später wohl ähnlich aktuell wie 2011: „Mich stört, dass Mittelmaß häufig zu gut honoriert wird. Das Leistungsprinzip galt in meiner Jugend konsequenter. Natürlich hätte ich im Westen viel mehr Geld verdienen können, aber das ist nicht alles und für DDR-Verhältnisse ging es uns sehr gut. Der Fußball ist heute mehr denn je eine Ware, Sport existiert nicht außerhalb des Marktes.” Aber Fußball bilde auch, erziehe zu Disziplin, Durchsetzungsvermögen und Mannschaftsgeist. Wichtig sei, die Substanz von Fankultur zu erhalten. Es würde „Binges” sicher freuen, dass sein Aue sich nicht nur weiter achtbar in der 2. Bundesliga behauptet, sondern auch ein starkes Nachwuchsleistungszentrum und eine aktive Fanszene besitzt. Oder dass die Zahl der Mitglieder heute bei fast 9.200 liegt. Rund 8.000 mehr als 2011.

Text: Olaf Seifert 
Foto: Archiv, Frank Kruczynski, Burg