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Ex-Veilchenkapitän in Lößnitz am Ball

Kurz nach Saisonbeginn kam René Klingbeil 2008 vom norwegischen Erstligisten Viking Stavanger nach Aue. Die Veilchen waren nach fünf Jahren aus der 2. Bundesliga abgestiegen und fanden schwer Tritt in der neu geschaffenen 3. Liga. Da kam ein so erfahrener Innenverteidiger wie der damals 27-jährige „Klinge” Trainer Heiko Webers junger Truppe wie gerufen.

Am Ende klang das Spieljahr versöhnlich aus und nach dem dann folgenden, am 30. April 2010, schaffte der FCE unter seinem Trainer Rico Schmitt die Rückkehr in Liga zwei. Nun übernahm René die Kapitänsbinde von Tomasz Kos und führte die Kumpelelf fünf Jahre lang. „Unglaublich, dieser Aufstieg! Wer hätte Aue zugetraut, sich dann so lange in der 2. Bundesliga zu halten! Es waren absolute Höhepunkte meiner Laufbahn, vielleicht meine schönste Zeit als Fußballer”, resümiert der gebürtige Berliner, der jetzt in Lößnitz lebt, dort ein Haus gebaut hat und sich mit seiner Frau Manuela und Töchterchen Mia wohlfühlt. Mit etlichen Mitspielern von einst halte er Kontakt, zu „Oli” Schröder etwa oder Martin Männel. „Thomas Paulus ist ein guter Freund geblieben und schön, dass Marc Hensel als A-Juniorentrainer des FCE zurück ist. Ich hab’ schon ein Testspiel mit ihm vereinbart”, sagt „Klinge”, der gerade die Mannschaft des Landesligisten FC 1910 Lößnitz übernommen hat.

Hier jubeln Fans und Spieler nach dem 3:0-Zweitliga-Sieg der Veilchen gegen den FC St. Pauli am 19. September 2014 im Erzgebirgsstadion. Fotos: Frank Kruczynski

René hatte beizeiten mit dem Fußballspielen begonnen. Geboren am 2. April 1981 in Berlin, war Vater Peter sein erster Trainer, doch fand das Talent erst mit 14 zu einem Verein. Als C-Junior beim Marzahner SV traf der Stürmer in der ersten Saison 21-mal ins Netz, wechselte bald zum FC Berlin und an die Sportschule. In der Berlin-Auswahl fiel der inzwischen in die Abwehr gerückte Spieler den Scouts von Borussia Mönchengladbach auf. Mit 17/18 weit weg von zu Hause? Halb so wild. Die Eltern unterstützten ihn; Mutter Sabine, die Lehrerin, ließ nicht locker, damit er neben der sportlichen Ausbildung auch sein Abi macht. Nach zwei A-Jugend-Jahren in Gladbach bekam der Verteidiger als Einziger seines Jahrgangs einen Profivertrag, doch die Realität hieß Oberliga. Coach Hans Meyer schickte ihn in die 2. Mannschaft, was, wie Klingbeil heute weiß, gut war: „Mit Holger Fach und Norbert Meier bekam ich super Trainer. Es waren die besten Lehrjahre für mich jungen Fußballer.” Sein Vater hatte 2003 wieder den richtigen Riecher. „Wenn Du je höherklassig spielen willst, musst Du jetzt weg!”, riet er dem Sohn, damals 22. Beim Hamburger SV ging es zwar auch erst in die Zweite, doch in der folgenden Saison bekam er – am 23. Oktober 2004 gegen Dortmund – den ersten Bundesligaeinsatz: „Der HSV war Tabellenletzter, 80.000 im Westfalenstadion und wir gewinnen 2:0 – das vergisst Du nie!” Für den HSV spielte der Verteidiger insgesamt 51-mal in der Bundesliga, sechsmal im UI-Cup, fünfmal im UEFA-Pokal plus zweimal, gegen den FC Porto, in der UEFA Champions League. Nach einem Jahr in Stavanger dann 2008 der Wechsel zu den Erzgebirgern, für die „Klinge” in 220 Punktspielen zehnmal traf.

Der aktuelle und der alte Kapitän: Martin Männel und René Klingbeil, hier nach einem Spiel 2013, sind bis heute gute Kumpel geblieben.

Zurück ins Jahr 2015. Die bitterste Stunde; die Erzgebirger verpassten mit dem 2:2 im letzten Punktspiel in Heidenheim den Klassenerhalt; ein Tor mehr, und es hätte gereicht. Der inzwischen 34-Jährige hätte sich gerne noch ein Jahr reingehängt, um mit den Veilchen den sofortigen Wiederaufstieg zu packen. Allein, der neue Trainer Pavel Dotchev plant anders, will den Schnitt, setzt auf Jugend. Nach sieben Jahren Aue ist plötzlich Schluss, René am Boden zerstört; hatte ihm der Verein doch eben noch signalisiert, man plane weiter mit ihm. „Rein in den Flieger und runter nach ,Malle’. Bloß weit weg erstmal, das musst Du erst mal verdauen”, schildert der Ex-Kapitän seine Flucht im Juni ’15. „Und ich weiß noch genau, wie mich Lutz Lindemann anrief. Ich auf dem Flughafen in Spanien, am Kofferband, und der damalige Jenaer Präsident fragt ,Kannst Du Dir vorstellen, für Carl Zeiss in der 4. Liga zu spielen?’ Äääh, ääh, hab’ ich bloß rausgebracht, aber am nächsten Tag schnell Ja gesagt.” Lutz und Jena-Trainer Volcan Uluc überzeugen den Mittdreißiger, die Töppen noch nicht an den Nagel zu hängen. Trotz extremer Belastung – jeden Tag pendeln zwischen Lößnitz und Jena –, die zwei Jahre in Thüringen sind noch mal ein Kick. Die Highlights: DFB-Pokalkracher gegen den Hamburger SV (seinen Ex-Verein) und Bayern München, Gewinn des Thüringen-Pokals gegen Altrivale Rot-Weiß Erfurt, Platz eins in der Regionalliga Nordost und dann, nach „der Hölle Relegation” gegen Viktoria Köln, der umjubelte Aufstieg in die 3. Liga. „Wir waren eine super Truppe in Jena, ich halte zu Verein und Spielern den Draht und drücke Carl Zeiss, genauso wie den Auer Veilchen, beide Daumen. Wir wollen unbedingt mal ein Freundschaftsspiel machen zwischen Lößnitz und Jena”, ist „Klinge” wenige Wochen nach seinem endgültigen Abschied noch bewegt.

Einsatzstark kämpfen Veilchenkapitän René Klingbeil und Sören Brandy vom 1. FC Union Berlin um den Ball. Das Zweitligapunktspiel am 6. April 2014 entschieden die Veilchen mit 3:2 zu ihren Gunsten. Foto: Frank Kruczynski

Diesmal musste er die Schuhe an den Nagel hängen, war in den letzten Spielen im Frühjahr „auf dem Zahnfleisch gegangen”. Nun, mit positiver Energie nach dem erfolgreichen Karriereende, beginnt ein neues Kapitel. Schon im Vorjahr hatte er für einen Finanzdienstleister gearbeitet und Spaß an der Sache gefunden. „Derzeit mache ich eine Ausbildung zum Finanzberater, habe meinen Weg gefunden”, freut sich der langjährige Fußballprofi auf die Zukunft. Auch, weil er als Trainer des FC 1910 Lößnitz weiter am Ball bleiben darf. „Als Präsident Frank Kattermann und Schatzmeisterin Jacqueline Schöniger ,Kannst Du Dir vorstellen ...’ fragten, mit den Worten wie vor zwei Jahren Lutz Lindemann, gab es kein Zögern. Mein ganzes Leben brennt dieses Feuer, hier kann ich mein Wissen auf super Sportanlagen weitergeben und zusammen mit Co-Trainer Martin Lauckner etwas aufbauen.” Happy sind auch die 1910er, wie Jacqueline Schöniger betont: „Wir schätzen sehr die Heimatverbundenheit des ehemaligen Fußballprofis. Alle sind total stolz, dass René unser Trainer ist.”
Beruf und Hobby passen also, vor allem aber sollte nun endlich mehr Zeit für die Familie sein. „,Manu’ hat mir all die Profijahre immer den Rücken freigehalten und für die siebenjährige Mia werde ich jetzt, da sie in die zweite Klasse kommt, auch öfters da sein”, verspricht der 36-Jährige. Nicht zuletzt will er auf Motorrad und Mountainbike durchs Erzgebirge düsen, das dem Berliner längst zur Heimat geworden ist. (OS)

Text+Foto: Olaf Seifert