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1960: Kalter Krieg im Europapokal – Spiele gegen FC Glenavon kamen nicht zustande

Die Meisterschaft 1960, die zum fünften und letzten Male während eines Kalenderjahres ausgetragen wurde, begann im März und wurde im November beendet. Vorjahresmeister SC Wismut schnitt schlechter als erwartet ab, weil er zu wechselhaft spielte. Die älteste aller Oberligamannschaften – das Durchschnittsalter der Stamm-Elf betrug 27 Jahre – wurde mit der Doppelbelastung in der Meisterschaft und im Europapokal nur schwer fertig. Am Ende reichte es nur für den fünften Platz in der Tabelle.
Der September 1960 hielt für den SC Wismut nur ein Pflichtspiel parat. Wegen des Messecupspiels zwischen Leipzig und Belgrad musste das ursprüngliche Heimspiel der Erzgebirger gegen den SC Lok Leipzig vom 11. September in den Oktober verlegt werden. Ende des Monats fuhr die Mannschaft von Trainer Manfred Fuchs zum Tabellenachten Aktivist Brieske-Senftenberg. Wie ein Stich ins Herz dürften die drei Prachttore von Horst Franke gewirkt haben. Seine Schüsse aus 25 Metern, jedes Mal überraschend abgegeben, krönten die bessere Leistung der zu Hause lange nicht so gut in Form auftrumpfenden Briesker. Schon nach dem 3:0 in der 56. Minute machten sich Enttäuschung und Resignation beim Meister breit. Durch die einsatzfreudigen Zweikämpfe der Gastgeber fehlte es Wismut auch an Kampfgeist und Beweglichkeit. An den beiden Mittwochs vor und nach dem Brieske-Spiel hätten die Wismut-Fußballer eigentlich internationale Aufgaben bewältigen müssen. Doch die Spiele gegen den nordirischen Landesmeister der Saison 1959/60, den FC Glenavon Lurgan, fanden letztendlich nicht statt.

Am Donnerstag, dem 7. Juli 1960 um 12 Uhr wurden in Paris unter Vorsitz des Dänen Ebbe Schwartz die Lose für die erste Runde aus der Trommel gezogen. Zahlreiche Delegierte der europäischen Landesmeister waren zugegen, um an Ort und Stelle den Namen ihrer Gegner zu erfahren. 28 Klubmannschaften nahmen an der 6. Auflage des Europapokals der Landesmeister 1960/61 teil: 27 Landesmeister plus Titelverteidiger Real Madrid. Allerdings traten nur 26 gemeldete Vereine an, zwei verzichteten. Real Madrid erhielt automatisch ein Freilos, weitere drei wurden für den Hamburger SV, den FC Burnley und Panathinaikos Athen gezogen. Die Spiele der ersten Runde mussten bis zum 30. September ausgetragen werden, in begründeten Ausnahmefällen auch erst bis zum 15. Oktober.

Für das Hinspiel in Belfast am 21. September gab es extra eine Generalprobe unter Flutlicht im Leipziger Zentralstadion gegen den schwedischen Zweitligisten Halmstads BK. Doch diese Begegnung vier Tage zuvor hielt nicht, was sie versprach. Wismut schlug damals fußballerisch eine gute Klinge und hatte bisher bei internationalen Spielen stets recht stark aufgespielt. Doch diesmal war die Klinge stumpf. Zwar brachte Siegfried Wolf seine Elf in Führung (29.), doch Halmstads BK glich durch ein Kopfballtor von Holmsten kurz nach der Pause aus. Die Schweden stellten sich, nachdem sie ihre Gegenspieler abgetastet und studiert hatten, auf deren Spielweise ein erzielten bei gefälliger Ballbehandlung ein Übergewicht, waren mehr als nur ein Trainingspartner. Dagegen ließ Wismut an jenem Samstagabend viele Wünsche offen. Wo nur blieben die Gefährlichkeit, das schnelle, direkte Abspiel, die Abgeklärtheit? Wo blieb das eiskalte Zuschlagen, das doch bisher die Mannen um Manfred Kaiser und Willy Tröger ausgezeichnet hatte? Den Ball möglichst in eigenen Reihen halten und aus der Tiefe heraus die Angriffsaktionen aufbauen, so lautete die Order von Trainer Fuchs. Doch es schien, als habe man beim Lernen des Fußball-ABC gerade erst den Buchstaben K (lies: Kicken) erreicht. Dafür gab es Pfiffe von den Rängen.

Am Montag nach der Generalprobe trafen schlechte Nachrichten in Aue ein. Die Austragung des von der UEFA für den 21. September in Belfast angesetzten Europapokalspiels zwischen dem nordirischen Meister FC Glenavon und dem ostdeutschen Titelträger SC Wismut Karl-Marx- Stadt sei gefährdet. Diese alarmierende Mitteilung machte der Deutsche Fußball-Verband der DDR (DFV) telegrafisch dem Generalsekretär der UEFA. Die britische Botschaft in Westberlin verweigere der Wismut-Elf die Aushändigung der Einreisevisa. Die UEFA setzte sofort alle Hebel in Bewegung und protestierte bei der britischen Botschaft, jedoch ohne Erfolg. UEFA-Generalsekretär Hans Bangerter bedauerte diesen Vorfall: „Der Europa-Pokalwettbewerb ist durch die unverständliche Maßnahme aufs höchste gefährdet. Nur aus dem Europapokal der Ländermannschaften ist uns ein ähnlicher Fall bekannt. Da verbot die spanische Regierung ihrer Mannschaft, gegen die sowjetische Auswahl anzutreten. Die UEFA kam damals zu dem einzig möglichen Schluss, die spanische Mannschaft aus dem Wettbewerb herauszunehmen.”

Sir Stanley Rous, Generalsekretär des englischen Fußballverbandes, versprach, als er über die Schwierigkeiten informiert wurde, sich sofort an das britische Außenministerium zu wenden. Telegrafisch entschuldigte er sich inzwischen beim DFV und teilte mit, dass seine Intervention bislang noch zu keinem positiven Ergebnis geführt habe. Wie der bekannte englische Fußballfunktionär war auch die britische Öffentlichkeit über die unpopuläre Maßnahme der Regierung empört. Es sei unverständlich, dass die britische Regierung wenige Tage nach Abschluss der in ungetrübter Atmosphäre durchgeführten Olympischen Sommerspiele von Rom mit diesem Mittel des Kalten Krieges Vergleiche zwischen den deutschen und britischen Sportlern zu hintertreiben suche. Die Londoner Abendzeitung „Evening Standard” schrieb von einem großen Schock für die britische Fußballgemeinde.

Es gibt keinen Zweifel, Belfast hatte sich auf das Gastspiel des DDR-Meisters gefreut. Mr. Kennedy, Geschäftsführer des FC Glenavon, rechnete immerhin – nach dem Vorverkauf zu urteilen – mit einem ausverkauften Windsor-Park. Er setzte nun, wie auch der Sekretär des Nordirischen Fußball- Verbandes W. J. Drennan, all seine Hoffnung auf die UEFA, die sich stark machen müsse, die Begegnung doch noch zustande zu bringen.

Der Verein aus Lurgan in der Grafschaft (County) Armagh wurde 1889 gegründet und trägt seine Heimspiele seit 1895 im Mourneview Park aus. Seine bisher erfolgreichste Zeit erlebte der Klub in den 1950er und frühen 1960er Jahren, als man insgesamt 14 Titel gewann, darunter alle drei Meistertitel in den Jahren 1952, 1957 und 1960. Lurgan liegt etwa 45 Kilometer südwestlich von Belfast. Schon bei ihrer ersten Europapokal-Teilnahme 1957 gegen die Dänen von Aarhus GF wich man in den größeren Windsor-Park nach Belfast aus. Das eigene Stadion, der Mourneview Park, war dafür viel zu klein und hatte damals noch kein Flutlicht.

Das vielgerühmte Fairplay des Fußballsports auf der Insel hatte durch das „Foul” gegen das Zustandekommen des Europacup-Spiels gegen den FC Glenavon gelitten. Überall stieß man auf Unverständnis gegen diese Maßnahme. Kopfschütteln natürlich bei den Betroffenen. Aues Spieler Karl Wolf meinte: „Nach der Olympiade, wo man auf engere Beziehungen der Sportler aller Völker untereinander hoffte, nun dieser Schlag. Die kapitalistische Welt zeigt damit ihren wahren Charakter. Wir sind heute nicht mehr als ein fünftes Rad am Wagen zu behandeln. So versucht man es nun mit diesen unfairen Mitteln.” Trainer Fuchs erklärte: „Dafür haben weder die Millionen Freunde des runden Lederballs unserer Republik noch die der Insel Verständnis.”

Die Nordiren wurden bisher von der britischen Regierung, die offenbar dem Druck Bonns nachgab, an den Spielen gegen den SC Wismut gehindert. Anlässlich der Auslosung des Achtelfinals im Europapokal entschied am 7. Oktober 1960 in Genf dann die UEFA über die Europapokal-Spiele zwischen dem nordirischen Meister FC Glenavon und dem DDR-Titelträger SC Wismut Karl-Marx- Stadt. Die UEFA gab dem FC Glenavon eine letzte Frist, das Hinspiel gegen Wismut bis zum 19. und das Rückspiel bis zum 26. Oktober auszutragen: „Falls Sie bis zu diesen Terminen nicht in der Lage sind, dem Beschluss der UEFA nachzukommen, erreicht der SC Wismut Karl-Marx-Stadt kampflos das Achtelfinale, wo er auf Rapid Wien treffen würde.” Das Organisationskomitee der UEFA regte an, dass der FC Glenavon für das Hinspiel notfalls einen dem SC Wismut genehmen neutralen Austragungsort benennen könnte. „Wir hoffen, dass wir die Spiele gegen den FC Glenavon noch austragen können. Kampflos eine Runde weiter, das befriedigt keinen Sportler!” erklärte Wismuts Linksaußen Siegfried Wachtel. „Ein neutraler Platz wäre auch nicht ganz das Richtige. Wir haben uns intensiv vorbereitet, wir freuen uns auf die Fußballer vom FC Glenavon!”

Eine Woche später, am 14. Oktober 1960, setzte das Generalsekretariat der UEFA den DFV telegrafisch davon in Kenntnis, dass der SC Wismut Karl- Marx-Stadt kampflos das Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister erreicht habe. Sein nordirischer Gegner FC Glenavon musste auf seine Chance verzichten, da es ihm trotz energischer Bemühungen nicht gelungen war, bei den britischen Behörden die Einreise der Wismut-Elf zum Vorrundenspiel am 19. Oktober in Belfast zu erwirken. Aus einem Telegramm des Generalsekretärs des nordirischen Fußballverbandes, Reclav, an den DFV spricht tiefes Bedauern darüber, dass „der FC Glenavon wider seinen eigenen Willen gezwungen wurde, von diesem Fußballvergleichskampf zurückzutreten”. Reclav unterstrich, dass sich der FC Glenavon, er selbst und Sir Stanley Rous, der Generalsekretär des englischen Fußball-Verbandes, nach besten Kräften bemüht hätten, dem SC Wismut die Einreise zu ermöglichen. Beim Deutschen Fußball-Verband (der DDR) wurde die Tatsache, dass der SC Wismut nun kampflos ins Achtelfinale einzog, als keine befriedigende Lösung angesehen, „da der deutsche Meister es lieber gesehen hätte, beide Begegnungen ordnungsgemäß durchzuführen”. Der UEFA sei jedoch keine andere Wahl geblieben.

Text: Burg